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Channel: Schreiben vom Krieg » Geheimnisse der Sprache: Feldpost zwischen den Zeilen
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Über Sex schreiben.

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Feldpost des Ersten Weltkrieges als „Liebeskommunikat“[1]

Ksenia Eroshina

 

Die Soldaten des Ersten Weltkrieges sahen sich im Zuge der oft jahrelangen kriegsbedingten Trennung von ihren Frauen mit der zuvor für sie meist eher ungewohnten Situation konfrontiert, diesen ihre Zuneigung, Sehnsucht nach Zärtlichkeit, ja gar ihre sexuellen Bedürfnisse in schriftlicher Form – über Feldpostbriefe – zu kommunizieren. Dies erfolgte indes unter erschwerten Bedingungen, wird doch die Sexualmoral des Kaiserreiches in der Forschungsliteratur als tabuisierend dargestellt: Über Sexualität wie Körperlichkeit im Allgemeinen wurde meist nicht offen kommuniziert.[2] Zudem ließ die propagierte Wertevorstellung des mutigen und patriotischen Kriegers die „,verweiblichten‘ Emotionen und die Sehnsüchte“ eines Soldaten in den Hintergrund rücken.[3] Deshalb scheint es kaum verwunderlich, dass August Jasper, der als 28-jähriger in den Ersten Weltkrieg zog, in seinen Briefen an seine Frau Bernhardine nur äußerst wenige, eher verschleierte Versuche unternahm, an einen Austausch von Zärtlichkeiten oder gar die Befriedigung sexueller Bedürfnisse zu erinnern.

Dennoch lohnt sich ein diesbezüglicher Blick in die erhaltenen Briefe Jaspers an seine Frau. Die Anrede an Bernhardine bleibt über die vier Kriegsjahre hinweg oft nahezu identisch und lässt sich als liebevoll und zärtlich umschreiben. Die direkte Anrede als „Innigst geliebte Frau“[4] oder „Mein liebes süßes Frauchen!“[5] findet sich in selber oder ähnlicher Form in jedem Brief Jaspers. Steigerungs- und Verniedlichungsformen, die mit den Monaten – vor allem zum Ende des Krieges hin – zunehmen, lassen sich auch als eine steigende Sehnsucht nach Nähe und Liebe lesen. Allein im Brief vom 22. März 1917 finden sich in den ersten drei Sätzen bereits fünf Verniedlichungsformeln.[6] Diese stehen im deutlichen Widerspruch zum rauen Kriegsalltag, den Jasper durchlebte, und signalisieren die empfundene Sehnsucht nach einem liebevollen Kontakt zu seiner Frau Bernhardine. Diese Sehnsucht wird, wie Jason Crouthamel gezeigt hat,  als „Gegengewicht zur Gewalt des Krieges“ verstanden.[7]

August Jasper an seine Frau Bernhardine, erste Seite des Feldpostbriefes vom 22. März 1917.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, erste Seite des Feldpostbriefes vom 22. März 1917.
Ein weiteres markantes Merkmal in den Briefen Jaspers sind die vielfachen Treuebeteuerungen.[8] So schreibt er nicht nur wiederholt von sich als „Dein lieber treuer Mann“,[9] sondern fordert diese Treue gewissermaßen auch von seiner Frau ein, wenn er sie als  „Mein liebstes treues Frauchen“ anredet.[10]  Diese oft über mehrere Monate hinwegreichenden wiederholten Anrede- und Abschiedsformeln, die das Feld der Treue und des Vertrauens ihrer Partnerschaft bespielen, können als eine Art Rückversicherung Jaspers gedeutet werden, die er gegenüber seiner Frau ausdrückt, um sein möglicherweise latent vorhandenes Misstrauen, ja eine etwaige Eifersucht zu überspielen oder zu verdrängen. Denn an vielen Stellen innerhalb der Briefe wird deutlich, wie präsent ihm das Thema Ehebruch ist – und dies gilt sowohl für Frauen in der Heimat, als auch für die Soldaten an der Front. Zeichnete die offizielle Propaganda auch das Bild des keuschen und treuen Mannes an der Front, so vermitteln die durch das Militär eingerichteten Bordelle, die nahezu jedem Soldaten zugänglichen waren, ein deutlich anderes Bild.[11]

Vor allem August Jaspers Briefe gegen Ende des Krieges beinhalten vermehrt Anspielungen auf die Sehnsucht nach körperlicher Nähe. Je „elend[er]“ Jasper den Krieg empfindet, desto mehr wünscht er sich „doch mal wieder in deinem Schoß zu schlafen“.[12] Die vielleicht eindeutigste Anspielung auf vorhandene sexuelle Bedürfnisse Jaspers finden sich im Brief vom 16. Februar 1918, in dem er davon schreibt

„mit Dir mal wieder so richtig liebkosen […]. Man hat manchmal so eine Sehnsucht danach, das ist gar nicht zu beschreiben.“[13]

Vor dem Hintergrund des eher prüden Zeitgeistes, lassen sich diese Stellen als eindeutig sexuell aufgeladene Äußerungen deuten, die die verzweifelte Sehnsucht Jaspers nach Körperlichkeit mit seiner Frau nach bereits vier Jahren der Trennung erkennen lassen. Eine ebenso konstante wie eindeutige verschriftlichte Form des körperlichen Beisammenseins bleiben die Küsse, die Jasper seiner Frau Bernhardine über die Briefe zuschickt, die nicht nur ein denkbares alltägliches Ritual des Miteinanders fortsetzen, sondern auch einen Moment der Intimität über große Distanzen hinweg schafft.[14]

August Jasper an seine Frau Bernhardine, letzte Seite des Feldpostbriefes vom 5. Februar 1918.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, letzte Seite des Feldpostbriefes vom 5. Februar 1918.

Die über die gesamte Kriegsdauer hinweg verschickte Feldpost August Jaspers ermöglichte ihm – neben den vereinzelten Urlauben – die Verbindung mit seiner Frau auch auf körperlicher Ebene aufrecht zu erhalten. Clemens Schwender hat betont, wie wichtig es für Eheleute in einem Krieg war, sich sowohl auf gemeinsame Erinnerungen aus der Vergangenheit, als auch auf eine erträumte harmonische und vor allem friedliche Zukunft zu stützen,[15] galt es doch an der Liebe selbst ohne gemeinsame Erlebnisse festzuhalten. Die Besonderheit der Kommunikation im Krieg – auch der Eheleute Jasper – lag darin, einen zuvor gemeinsam erlebten Alltag nun durch die tägliche Briefkommunikation zu ersetzen.

 

[1]    Clemens Schwender, „Feldpost als Medium sozialer Kommunikation“, in: Veit Didczuneit/Jens Ebert/Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege. Essen 2011, S.127–139, hier S. 127.

[2]    Siehe dazu Marina Schuster, „Sexualaufklärung im Kaiserreich“, in: Anja Bagel-Bohlan (Hg.), Sexualmoral und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert. Opladen 1990, S. 71–83.

[3]    Jason Crouthamel, „Deutsche Soldaten und ,Männlichkeit‘ im Ersten Weltkrieg“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 64 (2014), H. 16–17, S. 39–45, hier S. 39.

[4]    August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 19. März 1915

[5]    August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 4. April 1917.

[6]    August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 22. März 1917: „Mein einzig liebstes Herzchen! Mein Liebling! Dein liebes Briefchen vom 18ten habe ich gestern Abend erhalten, auch das Paketchen mit Butter und Brot habe ich bekommen. Aber Herzchen, das Brot schmeckt aber gewiß auch nicht. Über das Zettelchen was Alma geschrieben hatte, habe ich mich doch gewundert, sag Ihr man ich hätte geschrieben, Sie könnte ja schon schön schreiben.“

[7]    Crouthamel, Deutsche Soldaten und „Männlichkeit“, S. 39.

[8]    Siehe dazu den Beitrag von Katja Flemming.

[9]    August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 19. Januar 1915.

[10] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 1. Februar 1915.

[11] Crouthamel, Deutsche Soldaten und „Männlichkeit“, S. 40.

[12] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 7. Februar1918.

[13] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 16. Februar 1918.

[14] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 5. Februar 1918.

[15] Schwender, Feldpost als Medium sozialer Kommunikation, S. 128; August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 12. März 1918: „Ach mein liebstes Herzchen, wäre doch der schreckliche Krieg erst vorbei, daß ich doch wieder bei Euch sein könnte.“


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